“Mein Innerer Schweinehund”

Ein Happening in Europa

 

 


 

Weitere Informationen erteile ich jederzeit gern in meiner Werkstatt:

Im Herbst 1993 wurde in zwanzig euro­päischen Städten insgeheim der "Innere Schweinehund" aufgestellt - eine Betonskulptur, die ein Schwein in einem Menschenmantel darstellt und die ein provozierendes Schlaglicht auf Rassis­mus und Intoleranz in Europa werfen soll. Das anti-rassistische Happening, das seither als grösstes in Europa gilt, hat spürbare Nachwirkungen überall in den elf Ländern ausgelöst, die - ohne es im voraus  zu wissen - am Happening teilnahmen.

 

Dieses Dossier beschreibt den Hinter­grund des Happenings und berichtet über das weitere Schicksal der Skulptu­ren in jeder einzelnen der zwanzig eu­ropäischen Städte. Zielgruppe sind Presse und Privatpersonen, die darum bemüht sind, einen Platz für die Skulpturen zu finden, wenn sie von den Behörden entfernt wurden, sowie die zahlreichen Freunde, die gern den wei­teren Verlauf der Geschichte vom "In­neren Schweinehund" hören möchten. Dieses Dossier darf frei kopiert und verbreitet werden.

 

Wir haben einen AUFRUF beigefügt, den Sie an geeigneten Stellen aufhängen und für Interessenten kopieren können.

 

Am Ende dieses Dossiers finden Sie eine Liste mit Fakten über das Hap­pening, darunter eine Liste, wo der "Schweinehund" im Augenblick steht und wer in den einzelnen Städten dafür zuständig ist.

 

Mit freundlichem Gruss

 

Jens Galschiøt Christophersen

Smykkesmeden

Banevænget 22

DK-5270 Odense N

Ph.:  + 45 - 6618 4058

Fax: + 45 - 6618 4158

E-mail: aidoh@aidoh.dk

Internet: http:// www.aidoh.dk

 

 

 


 

Inhalt

 

Die Geschichte eines Happenings............................................................................................... 2

Verlauf in den einzelnen Städten................................................................................................. 4

Fakten über das Happening......................................................................................................... 8

Text der Plakette und des Briefs an die Bürgermeister................................................................. 9


Zeit, Ort, Status und sonstige Kontakte...................................................................................... 11


DIE GESCHICHTE EINES HAPPENINGS

 

 


Ein "Schweinehund" geht durch Europa

 


Als zwanzig europäische Städte an zwei kalten Novembertagen  1993 erwachten, erwartete sie eine Überraschung: mitten auf dem wichtigsten Platz der Stadt war eine über zwei Meter hohe schwarze Figur aufgestellt worden: ein abscheuliches Schwein in menschlichen Kleidern. Eine Messingplakette am Sockel verkündete (u.a.), dass es sich um "Meinen inneren Schweinehund" handele - ein Tier mit den niedrigsten Instinkten, das wächst und gedeiht, wenn Menschen Gewalt und Demütigungen ausgesetzt werden, die unsere ethische Wertgrundlage bedrohen und die bei einzelnen Menschen und in extremen Fällen sogar in ganzen Völkern zur Besessenheit werden kann! Der Schweinehund stand da. Abstossend, aber auch irgendwie vertraut in seiner menschenähnlichen Gestalt. Wie vor einem Spiegel standen wir plötzlich Angesicht zu Angesicht mit einem unzweideutigen Symbol der unangenehmsten Seiten des Menschen. Der Schweinehund war über uns gekommen.


 


Die Aufstellung war ein absolut friedliches Kunsthappening, das anonym und ohne Vorwarnung im Laufe von 2 1/2 Tagen in zwanzig Grossstädten stattfand. Gleichzeitig liefen bei der Polizei und den Bürgermeistern der Stadt Telefaxschreiben ein. Hier erläuterte das Pseudonym "COGITO" (lateinisch: ich denke) den Sinn des Happenings: die Aufmerksamkeit zu schärfen für die zunehmende Gewalt, Intoleranz, Rassismus und die Verfolgung von Minoritäten, die wir jeden Tag in Europa erleben. Ausserdem wurde mitgeteilt, dass die Skulptur ein Geschenk an die Stadt sei, und es wurde darum gebeten, die Skulptur 14 Tage lang auf dem gewählten Platz stehen zu lassen - als Zeichen von Seiten der Stadt, dass man das Problem des Rassismus ernst nahm.

 

 

 

 

 

Die Plätze waren so ausgewählt, dass sie möglichst eine symbolische Bedeutung für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit hatten. Die Skulptur wurde daher z.B. in Paris auf dem Bastille-Platz aufgestellt, in Genf vor dem UNO-Gebäude und in Oslo vor dem norwegischen Reichstag. Die Aufstellung war völlig inoffiziell, da vorher keine Genehmigung zur Aufstellung der Skulpturen eingeholt worden war. Man fuhr ganz einfach ins Stadtzentrum, stellte eine Skulptur auf und fuhr weiter in die nächste Stadt. Und die groteske Figur mit der humanistischen Botschaft liess überall die Leute auf dem Weg zur Arbeit innehalten, brachte die Bürgermeister dazu, sich nachdenklich hinterm Ohr zu kratzen, und die Polizisten dazu, sich zu überlegen, wie eine tonnenschwere Skulptur, deren Herkunft niemand kennt, zu entfernen ist.

Die Ideengrundlage des Happenings

 

Der Bildhauer Jens Galschiøt Christophersen, der unterstützt von Hunderten von Freiwilligen der Urheber des Projekts ist, erläutert : "'Der Innere Schweinehund' symbolisiert die Tendenzen in uns selbst, die aufkommen, wenn wir unter Druck stehe, und die uns die elementarsten humanistischen Prinzipien vergessen machen können. Genau dies befürchte ich und sehe leider Anzeichen dafür im heutigen Europa, wo die Gegensätze zwischen uns, den Privilegierten im reichen Europa auf der einen Seite und den "anderen", den Kriegsflüchtlingen, den Einwanderern mit einem anderen Glauben und den Armen auf der anderen Seite, ständig grösser werden.

                                                           

 

 


Für mich ist die Frage, wie weit wir gehen wollen, um nicht mit den anderen teilen und sie dulden zu müssen. Sollen wir eine neue Berliner Mauer errichten - dieses Mal um das reiche Europa, das in Frieden lebt? Wenn wir das täten, können wir uns dann noch Menschen mit demokratischer, menschlicher Ethik und Moral nennen?


Meine Idee war es zu zeigen, dass unser innerer Schweinehund heute ganz Europa bedroht - nicht nur die Armen und die Flüchtlinge. Was wir zu befürchten haben, liegt in uns selbst, nicht in den "anderen". Der innere Schweinehund untergräbt langsam unsere ethische Wertgrundlage und lässt uns vergessen, dass die demokratischen und humanistischen Prinzipien, auf denen die europäischen Staaten aufbauen, für alle gelten müssen, wenn wir auch weiterhin unsere Gesellschaft intakt erhalten und eine totalitäre Entwicklung vermeiden wollen."

 


Galschiøt fährt fort: "Als Künstler habe ich keine Lösung für dieses schwierige Problem, aber ich fühle mich dennoch verpflichtet, mich auf meine Art und Weise einzumischen. Ich habe versucht, meine Angst vor der Entwicklung in Europa visuell auszudrücken. Deshalb habe ich die Skulptur bewusst hässlich, fast abstossend gestaltet, aber in einer Gestalt, in der wir dennoch etwas von uns selbst wiedererkennen. Und deshalb liess ich sie auftauchen, wie der Rassismus auftaucht: plötzlich, ohne Vorwarnung, auf einem Platz mitten in der Stadt, in der wir uns jeden Tag bewegen."


 

Das Happening gelang

 


Die zwanzig "Inneren Schweinehunde", die noch immer über den ganzen europäischen Kontinent verstreut sind, erregten fast überall, wo sie auftauchten, Aufsehen. Tausende von Menschen sind an den Skulpturen vorbeigegangen, haben die Inschrift auf der Plakette gelesen, sie haben das Happening im Fernsehen gesehen, wo Bilder des Schweinehunds oft als Symbol benutzt wurden, oder sie haben davon in der Zeitung gelesen. "Mein innerer Schweinehund" vermochte auf vielfältige Weise die Komplexität und das Dilemma des gegenwärtigen Rassismus- und Flüchtlingsproblems in Europa aufzuzeigen. Indem wir den Blick auf uns selbst richten, auf unseren eigenen inneren Schweinehund, und zwar in ganz Europa gleichzeitig, zeigte das Happening, dass Rassismus und Intoleranz ein europäisches und gleichzeitig ein persönliches Anliegen sind. Dass die Provokation aus einer Richtung kam, aus der wir sie in der Regel nicht erwarten, nämlich aus der Welt der Kunst, bedeutete, dass die Debatte sich nicht um Parteipolitik drehte, sondern um eine allgemeinmenschliche Problemstellung: Was passiert mit unseren ethischen und humanistischen Prinzipien in einem Europa, das immer rassistischer und intoleranter wird? Deshalb wurde der Schweinehund als konkretes Bild des Rassismus zu einem provokanten Beitrag in einer oft einäugigen Rassismus-Debatte. Das Happening war ein Erfolg.


 


Verschiedene reaktionen - und ihre symbolische Bedeutung


 


Die Skulptur löste in den 11 europäischen Ländern zahlreiche sehr verschiedene Reaktionen aus. In den meisten Städten blieb die Skulptur die 14 Tage stehen, wie der Künstler es sich gewünscht hatte, an anderen Orten wurde sie schnell entfernt und hinter "Schloss und Riegel" gebracht und auf einem kommunalen Lagerplatz oder im Fundbüro versteckt. In mehreren Städten stand sie mehrere Monate lang, bis man einen endgültigen Platz für die Skulptur fand - aus der Erkenntnis heraus, dass die Fragen, die sie aufwirft, ungeheuer wichtig sind. Und schliesslich wurde die Skulptur an manchen Stellen vergessen und versteckt - ignoriert.


 


"Die Schweinehunde haben zahlreiche verschiedene Funktionen, je nachdem welches Schicksal ihnen zuteil wurde. In Kopenhagen zum Beispiel wurde der Schweinehund von einer Bürgergruppe übernommen und auf einem Platz aufgestellt, und in Bonn steht sie vor einem grossen Kunstmuseum. In Kopenhagen regt sie im Stadtraum zur Debatte an, in Bonn ist sie Kunst mit grossem "K" - aber ganz gleich, wo sie steht, so fungiert sie gleichzeitig als Auslöser einer Debatte und als Kunst."


 


Was  immer mit der Skulptur geschehen ist, sie wird symbolisieren und widerspiegeln, wie man in dem jeweiligen Land die Probleme anpackt. Dies liegt in der Idee und der Durchführung des Happenings an sich. Dass an manchen Orten versucht wurde, sie zu ignorieren, kann natürlich viele Gründe haben, einer jedoch ist, dass das Thema Rassismus in vielen Ländern zu kontroversiell und zu gefährlich ist. Jens Galschiøt sagt: "Auch dort, wo man den Schweinehund einsperrt, wie in Mailand oder in Barcelona, wo man ihn ignoriert wie in Frankreich, ganz zu schweigen von der Diplomatenstadt Genf, wo er ganz einfach verschwunden ist - überall hat er eine symbolische Funktion."


 


"Es bleibt der jeweiligen Stadt überlassen, was sie mit ihrem  "Inneren Schweinehund" machen will. Ich habe dies nicht zu bestimmen. Wenn die Stadt die Skulptur nicht will, müssen eben Bürger der Stadt, eine Organisation, eine Privatperson, wer immer eine gute Idee hat, wo man einen Schweinehund "braucht", um auf diese Problematik aufmerksam zu machen. Sie können sich an die Stadt wenden und den Schweinehund abholen," unterstreicht der Künstler und fügt hinzu: "Ich bezweifle nicht, dass es überall in Europa Menschen gibt, die der Meinung sind, dass diese Skulptur sichtbar bleiben muss, um ihre Funktion als Auslöser von Debatten zu erfüllen - und nicht irgendwo in einem Lager versteckt werden sollte."


 


 

Draussen in Europa

 


Das Happening löste erhebliche Verwirrung bei Polizei und Behörden überall in Europa aus. Schliesslich geschieht es nicht jeden Tag, dass im Büro des Bürgermeisters ein Telefax eintrifft, das eine Skulptur ankündigt, die ein Schwein darstellt und Teil eines europäischen Happenings ist, das von einem anonymen Künstler durchgeführt wird. Vielleicht war es ein Problem, dass man in einigen südeuropäischen Ländern Rassismus und Gewalt nicht unmittelbar mit dem Bild eines Schweines verbindet (der Ausdruck stammt ursprünglich aus dem Deutschen) - denn die Problematik in bezug auf Rassismus und Intoleranz ist leider überaus aktuell - z.B. in Italien seit der letzten Wahl oder in Frankreich, wo die Schändung jüdischer Friedhöfe und Auseinandersetzungen zwischen Franzosen und Einwanderern durchaus nicht unbekannt sind. Mit dem Ausdruck "die innere Bestie", wie der Begriff "der innere Schweinehund" in die südeuropäischen Sprachen übersetzt wurde, wurde dafür ein ganz neuer sprachlicher Begriff im Umfeld von Rassismus und Nationalchauvinismus in diesen Ländern eingeführt.


 

Bombe im Schweinehund?

 


In Mailand sorgte die Figur für erhebliche Aufregung. Kurz nach dem Aufstellen wurde sie an einen sicheren Ort gebracht und auf Bomben untersucht. Wie die Zeitungen schrieben, stand sie nämlich unweit des Hauses eines Richters. Ein Philosoph, ein Kunstexperte und ein politischer Kommentator schreiben in der Zeitung über das Ereignis. Einer meint, dass der Urheber ein Deutscher sein müsse. Die Präzision, mit der die geheime Aufstellung durchgeführt wurde, der lange schwarze Mantel der Skulptur, die sehr deutliche politische oder pädagogische Botschaft der Skulptur und dann natürlich ein blondes Mädchen, das von mehreren Zeugen am Tatort gesehen worden war - all dies scheine auf eine "typisch deutsche Aktion" hinzudeuten. Für Italiener ist es offensichtlich nicht weit von "Präzision, schwarzen Mänteln und blonden Mädchen" zu möglichen Terrorbomben! Die Problematik, die der "Schweinehund" versinnbildlicht, ist in Italien nach der letzten Wahl noch brennender geworden, bei der die faschistische Rechte überraschend viele Stimmen erhielt - und die zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg erklärte Faschisten in Ministerämter brachte. Dies ist vielleicht einer der Gründe, dass man im Büro des Bürgermeisters die Sache unter Verschluss hält und das Happening nicht zu kommentieren wünscht.


 


Auch in Barcelona war keine Genehmigung eingeholt worden, allerdings war hier die Aufstellung im voraus angekündigt worden, weil nun enthüllt werden sollte, wer hinter dem Pseudonym "COGITO" stand. Daher war ein massives  Presseaufgebot einschl. der landesweiten spanischen Fernsehanstalten anwesend, als die Skulptur auf der "Plaza Rei Juan Carlos" aufgestellt wurde.

 

 

 

Finale! Plaza Rei Juan Carlos 1, Barcelona, Spanien

Am selben Abend war "Mein Innerer Schweinehund" - "Mi Bestia Interior", wie sie auf Spanisch hiess, in der Tagesschau und am nächsten Tag in den Morgenzeitungen. Und wärend der drei Tage, die der Skulp-tur vergönnt waren, blieben zahl-reiche Passanten neugierig stehen, vielleicht in Erinnerung daran, dass die Schweinehund-Mentalität mit dem Diktator Franco vor weniger als zwanzig Jahren an der Macht war, oder auch im Wunsch, dass die faschistischen Rechtskräfte, die in Spanien auf dem Vormarsch sind, nie wieder an die Macht kommen.

Lange zeit nach dem Ereignis wollte sich niemanden von der Gemeinde Barcelonas über die Angelegenheit äussem den Pressereferent des Bürgermeisters eingeschlossen. Aber im Herbst, 1994 wird der Künstler von einem Bürgermeister einer Teilgemeinde Barcelonas zu einem Empfang eingelanden. Ein sehr arbeitsamer Beamten hat sich trotzallem um die Angelegenheit gekümmert. Die skulptur wird am 12.10, 1994 in einem park bei C/Torrent Gornal als Daueraustellungs aufstellt.


 

Neue Plätze

 


Vielleicht ist es eben auf historische Erfahrungen zurückzuführen, dass man in Deutschland und Österreich den Schweinehund gut aufgenommen hat. "Mein innerer Schweinehund" steht jetzt in Bonn im Garten der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, "dort ist er für das Publikum sichtbar und dort bleibt er stehen", bestätigt das Museum in Bonn. Und in Berlin stand die Skulptur bis Ende Januar auf dem heiligsten Platz des wiedervereinigten Deutschlands vor dem Brandenburger Tor .


 


Anders verhielt es sich in München in Süddeutschland. Hier sagte der Bürgermeister, dass der Verantwortliche für das Happening eine Rechnung für die Ausgaben der Stadt vorgelegt bekäme, wenn er in München auftauchte. Inzwischen wurde das Problem auf eine Art und Weise gelöst, durch die die Stadt ihren inneren Schweinehund so schnell wie möglich aus den Augen verlor. Unter mehreren Anfragen von Privaten, die die Skulptur gern übernehmen wollten, kam eine von einer Frau, die "Schweine aus aller Welt sammelt". Sie holte die Skulptur im Münchener Fundbüro ab und zahlte dafür natürlich die Kosten der Stadt. Nun steht der Schweinehund in ihrem Garten und löst bei den Passanten zahlreiche Diskussionen aus. Die Dame ist völlig einverstanden mit der Botschaft des Happenings, aber besonders glücklich und zufrieden, weil die Skulptur mit ihrer Höhe von 2,30 m die grösste in ihrer "Schweinesammlung" ist.


 


Aus Innsbruck in Österreich schickte  Bürgermeister Romuald Niescher einen freundlichen Brief, in dem er sich für das unerwartete Geschenk bedankt. Er äusserte gegenüber der österreichischen Presse, dass es "faszinierend ist, auf dieser Art und Weise an seinen eigenen inneren Schweinehund erinnert zu werden". Daher hat er das Kulturamt der Stadt angewiesen, einen Platz für die Skulptur zu finden, und Jens Galschiøt auf Kosten  der Stadt nach Innsbruck eingeladen. Vielleicht waren mehrere rassistische Bombenattentate, u.a. auf den Bürgermeister von Wien, die Ursache für seine positive Reaktion.


 


In Dänemark

 


In Dänemark, dem Heimatland des Künstlers, wurde die Skulptur und die Botschaft des Happenings im grossen und ganzen positiv aufgenommen. Sie wurde Gegenstand einer heftigen Debatte unter den Bürgern und einer ausführlichen Behandlung in der Presse - im Fernsehen, im Radio und in den Zeitungen von links bis rechts.


 


In den vier Städten Århus, Kopenhagen, Herning und Odense standen die Skulpturen bis zu einem halben Jahr lang noch immer auf den vornehmsten Plätzen der Stadt. Die Bürgermeister der Städte sehen nicht darüber hinweg, dass der Künstler im Prinzip etwas Illegales getan hat, haben aber dennoch ihre positive Haltung gegenüber dem Happening zum Ausdruck gebracht. Entweder haben sie die Skulptur weit über die gewünschten 14 Tage hinaus stehen lassen, oder sie haben mit interessierten Einwohnern Verbindung aufgenommen, um einen Platz für die Skulptur zu finden. Einer der stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Kopenhagen äussert z.B. in einem Brief "seinen Respekt vor der künstlerischen Gestaltung und dem erheblichen Arbeitsaufwand, die dem Projekt zugrunde liegen" und erklärt sich einig in der allgemeinen Botschaft.


 


In Odense wurde die Skulptur an einem Gymnasium aufgestellt, das dieses Schuljahr den Themen "Rassismus" und "Wir und die Fremden" widmet. In Århus steht die Skulptur in einem Wohngebiet und in Herning vor einem Theater. Im Vorfeld dieser Entscheidung kamen zahlreiche für einen endgültigen Standort. Neben Gymnasien und Kunstmuseen wurde auch der Zoologische Garten vorgeschlagen, so dass die Besucher über "den Unterschied zwischen Mensch und Tier  nachdenken können", wie es in der Begründung hiess. Jens Erik Sørensen, der Direktor des Kunstmuseums in Århus, sagte zur Begründung seines Vorschlags, den "Schweinehund" im Museum aufzustellen: "Die Botschaft, die der Skulptur zugrundeliegt, ist so stark, dass es eine Missachtung der Skulptur wäre, sie nicht ihr eigenes Leben leben zu lassen, sie jedoch gleichzeitig einzubinden in den ästhetischen Rahmen des Kunstmuseums. Sie muss an einem Ort aufgestellt werden, der ihr Spielraum für die eigene Entfaltung lässt, so dass sie stark sichtbar im Stadtraum steht und die Menschen aufrüttelt."


 


Einen solchen Standort erhielt die Skulptur in Kopenhagen. Trotz verschiedener Beschädigungen hatte sie an die fünf Monate auf dem Rathausplatz, dem verkehrsreichsten Platz der Stadt, standgehalten. Im März 1994 erhielt der "Schweinehund" sein neues Zuhause im Wohnviertel "Indre Nørrebro", der von Einwanderern und Dänen bewohnt ist, die tagtäglich  Solidarität und Rassismus am eigenen Leibe erleben. "Mein innerer Schweinehund" wurde bei der offiziellen Einweihung willkommen geheissen. Später wurde dem Schweinehund der Kopf abgesägt - wie übrigens viel Jahre vorher dem dänischen Nationalsymbol, der Skulptur der Kleinen Meerjungfrau am Langelinie-Kai. Der Schweinehund lag einige Zeit umgestürzt und kopflos herum, hat jedoch heute einen neuen Kopf bekommen und wurde solide im Pflaster des Platzes befestigt.


 

Schweinehunde "verschwunden"

 


 Die enthüllende Versinnbildlichung jener Seiten in uns, die wir im Alltag nicht anerkennen wollen, war offenbar zu viel für andere Länder Europas. In Marseille, Paris, Amsterdam und Antwerpen wird von Seiten der Stadt nicht einmal zugegeben, dass man an einem europäischen Kunsthappening teilgenommen hat.


 


"Amsterdam war nicht dabei", sagt der Pressechef der Stadt Amsterdam, obwohl in den holländischen Zeitungen grosse Bilder neugieriger Holländer gebracht wurden, die die Skulptur auf dem Dam-Platz am Tage nach der Aufstellung betrachten.


 


In der belgischen Stadt Antwerpen, die Kulturstadt '93 war und deren Bürgermeister Bob Cool sich in anderem Zusammenhang über die wichtige Rolle der Kultur gerade in Fragen des Rassismus geäussert hat, ist vom "Inneren Schweinehund" nichts bekannt. Das Büro des Bürgermeisters hat - ohne zu der Angelegenheit Stellung zu nehmen  - alle Unterlagen an diejenigen weitergeleitet, "die sich um Kultur zu kümmern pflegen": das nun geschlossene Sekretariat der Kulturstadt und die Kunstmuseen der Stadt. Hier ist man ziemlich desorientiert. In beiden Städten steht die Skulptur auf einem Lagerplatz. Man beabsichtigt nicht, in der Sache mehr zu unternehmen.


 

Dafür wird in Brüssel gegenwärtig geprüft, ob ein dauernder Platz für die Skulptur gefunden werden kann. Dies geschieht, sobald die Angelegenheit im Stadtrat behandelt worden ist.

 


Wie lange der "Innere Schweinehund" eigentlich auf dem Bastille-Platz an Revolutionsdenkmal stehenbleiben durfte, ist ungewiss. Das Kulturamt der Stadt Paris hat um ein Bild gebeten, um in der Sache ermitteln zu können. Wo die Unterlagen mit Fotos, die mehrfach an Bürgermeister, Kulturamt und Presse gesandt worden sind, geblieben sind, weiss niemand.


 


In Frankreich wurde das Happening mit keinem Wort in der Presse erwähnt. Dies ist um so bemerkenswerter, als die Skulptur in nicht weniger als drei Städten aufgestellt wurde, darunter in Marseille, der Hochburg des rechten Politikers Le Pen. Überhaupt ist das Problem des Rassismus in Frankreich keineswegs unaktuell. In jüngster Zeit hat es unzählige Beispiele gegeben. So wurde z.B. algerisch-französischen Staatsbürgern wegen des aufflackernden Bürgerkriegs in er ehemaligen französischen Kolonie die Einreise verweigert. In Paris kontrolliert die Polizei übereifrig Pässe und Papiere der Autofahrer - offensichtlich nach der Devi: je dunkler im Gesicht, desto verdächtiger. Ganz zu schweigen von der nach allgemeinmenschlichen Massstäben absurden Diskussion über das Recht moslemischer Mädchen, in der Schule oder auf der Strasse ein Kopftuch zu tragen. Am merkwürdigsten ist jedoch, dass der Schweinehund nicht nur für die Behörden so problematisch ist: die französischen Journalisten haben als einzige in ganz Europa das Happening vollständig ignoriert. Einer der Gründe mag sein, dass der Begriff des "inneren Schweinehundes" in der französischen Kultur nicht recht bekannt ist. Ist es nicht aber wahrscheinlicher, dass das Thema so kontrovers ist, dass es nicht einmal die Presse aufgreift? In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass eine Gruppe französischer Intellektueller eine sogenannte "Sarajewo-Liste" aufstellten, um darauf aufmerksam zu machen wie wenig die Öffentlichkeit in die gegenwärtige europäische Wirklichkeit engagiert ist, die ständig  mehr oder weniger flagrante Verstösse gegen die Menschenrechte auf der Tagesordnung hat - am deutlichsten natürlich im ehemaligen Jugoslawien.


 


Auch in Genf konnten Hunderte von Diplomaten, die auf dem Weg zum UNO-Gebäude am "Inneren Schweinehund" vorübergingen, in der Presse keine Erklärung finden. Der Schweinehund stand direkt vor dem Haupteingang. Inzwischen jedoch ist der Alptraum eines jeden Schweizer Beamten Wirklichkeit geworden: Niemand weiss, wann die Skulptur entfernt wurde oder wo sie sich jetzt befindet. Sie ist nirgends registriert, auch nicht bei der Polizei: "Bitte entschuldigen Sie, Ihre Skulptur ist verschwunden, Sie können sich bei den Behörden beschweren", schreibt der Stadtrat von Genf in einem Brief an den Künstler und beteuert, dass man in der UNO-Stadt eine gründliche Suche nach dem verschwundenen Schweinehund durchführt. In Zürich hat man endlich herausgefunden, wer für die Angelegenheit zuständig ist. Wo genau die Skulptur sich jedoch befinden und was mit ihr geschehen soll, ist zur Stunde ungewiss.


 

In Skandinavien

 


Auch in Schweden und Norwegen blieb die Skulptur weit länger als 14 Tage stehen. Später wurde die Angelegenheit in den Stadträten behandelt, wo man nach langen Diskussionen die Entscheidung über das weitere Schicksal des Schweinehundes traf.


 


In Oslo blieb die Skulptur einen Monat lang stehen. Der Stadtrat ist sich jedoch nicht sicher, ob "die künstlerische Qualität hoch genug ist", um sie in die Kunstsammlungen der Stadt aufzunehmen. Das Kulturamt unterstreicht jedoch, dass die "Skulptur trocken und sicher untergebracht ist - in einem Lager, bis jemand sie beansprucht - und es wäre schön, wenn sie jemand übernehmen würde".


 


"Wir finden die Idee gut und wichtig", verlautet von der Stadt Stockholm. "Die Skulptur steht noch in der Drottningsgatan, aber nun, wo das Happening zu Ende ist, muss die Skulptur entfernt werden. Wir möchten, dass der Künstler sie abholt". Der Schweinehu nd ist heute (1.2.95) wie sein Artgenosse in Norwegen entfernt worden, kann jedoch in den Stadtraum zurückkehren, wenn jemand die Initiative ergreift.

 

 


 

 

Erheblicher finanzieller Fehlbetrag

 

Das Projekt "Mein innerer Schweinehund" hat sehr viel Zeit und Geld gekostet, die der Künstler aus eigener Tasche aufgebracht hat. Ein Fehlbetrag von mehr als 100.000 DKK ist bisher ungedeckt, obwohl mehrere Fonds Zuschüsse geleistet haben. Der Künstler ist nach wie vor für finanzielle Unterstützung dankbar.

 

Das Happening ist noch nicht zu Ende

 

Dies beabsichtigt der Künstler Jens Galschiøt Christophersen jedoch keineswegs. Der Schweinehund lebt weiter - wo immer er sich nun befindet. Er ist ein Geschenk an jede einzelne Stadt, und Geschenke nimmt man nicht zurück. Ideal wäre natürlich, wenn alle Schweinehunde einen Standort erhielten, wo sie gesehen werden und damit eine Debatte auslösen. Darüber jedoch entscheiden die Städte selbst. In den Städten, wo die Skulptur und das Happening ignoriert auch weiterhin ignoriert werden, ist zu hoffen, dass sich Bürger finden, die es für wichtiger halten, dem inneren Schweinehund ins Auge zu sehen als die Augen vor ihm zu verschliessen.Jens Galschiøt Christophersen hat noch eine Skulptur übrig, die er auf dem Roten Platz in Moskau aufstellen will, diesmal jedoch im Rahmen einer offiziellen Veranstaltung. In Zusammenarbeit mit Freunden in Moskau bemüht er sich um die Genehmigung des Bürgermeisters. Die erschreckenden Tendenzen in Form von Chauvinismus und Verfolgung von Minoritäten werden im Augenblick von Schirinowski verkörpert, der bei den letzten russischen Wahlen 25% der Stimmen erhielt. Durch eine offizielle Aufstellung der Skulptur in Moskau könnte man von offizieller Seite in Russland ein Zeichen setzen, dass auch hier eine totalitäre Entwicklung droht und dass jeder einzelne Russe dafür verantwortlich ist, dass dies nicht geschieht. Gleichzeitig möchte ich auch darauf aufmerksam machen, dass wir in Westeuropa für die Entwicklung in Russland mitverantwortlich sind. Solange wir dem Land keine wirtschaftliche Unterstützung gewähren, indem wir z.B. unsere Grenzen für seine Waren öffnen, verschlimmert sich die Krise. Und eine Wirtschaftskrise bildet oft den Nährboden für Rassismus und eine totalitäre gesellschaftliche Entwicklung. Dies erschwert natürlich den Aufbau einer neuen Demokratie.